H. Haumann: Hermann Diamanski (1910–1976)

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Titel
Hermann Diamanski (1910–1976): Überleben in der Katastrophe. Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst


Autor(en)
Haumann, Heiko
Erschienen
Köln 2011: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
443 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Gregor Spuhler

Hermann Diamanski kam 1910 als uneheliches Kind in Berlin zur Welt. Er wurde adoptiert und wuchs in Danzig auf. 1919 starb der Vater, und die Mutter ging eine neue Ehe ein. Mit 14 Jahren heuerte er auf einem Schiff an, blieb während vier Jahren illegal in den USA und fuhr anschliessend als Heizer zur See. Damals, zwischen 1928 und 1930, trat Diamanski der KPD bei. Nach der Machtübernahme durch die NSDAP betätigte er sich im Untergrund. Über London gelangte er nach Spanien, wo er 1937/1938 bei den Internationalen Brigaden kämpfte. Allerdings stand er im Verdacht, im Auftrag des Gegners nach Spanien gekommen zu sein. Dieser Verdacht gründete auf Lücken im Lebenslauf des Kommunisten – Lücken, die zusammen mit anderen Indizien darauf hinweisen, dass der Seemann um 1935/1936 an streng geheimen Sabotageaktionen unter Leitung des späteren Stasi-Chefs Ernst Wollweber beteiligt gewesen war.

Nach der Niederlage der Republikaner verliess Diamanski Spanien. 1940 gelang ihm die Flucht aus dem südfranzösischen Internierungslager St-Cyprien; im September 1940 wurde er jedoch in Barcelona verhaftet und der Gestapo übergeben. Nach Verhör und Folter in den Kellern des Reichssicherheitshauptamtes kam er über die Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück im Oktober 1942 nach Auschwitz. Ab März 1943 war er Blockältester im «Zigeunerlager», von Januar 1944 an Lagerältester. Dem «Zigeunerbaron», der wegen Begünstigung von Häftlingen im Juli 1944 in die Strafkompanie versetzt wurde und der bei der Liquidation des «Zigeunerlagers» im August 1944 psychisch zusammenbrach, bescheinigten später viele Überlebende grosse Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Im Januar 1945 kam er nach Buchenwald, wo er im April die Befreiung erlebte.

Im Herbst 1945 arbeitete er für das US-Militärgericht in Bad Tölz. Die Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden, illustrieren drei Ehen, die er 1945, 1946 und 1947 schloss. Er veränderte seinen Namen und sein Geburtsdatum. Im Frühjahr 1947 siedelte er zusammen mit seiner Frau, die bereits einen Sohn in die Ehe mitgebracht hatte, in die sowjetische Besatzungszone über. Neben der politischen Überzeugung dürften auch die persönlichen Netzwerke diesen Entscheid befördert haben, denn sie ermöglichten dem zuverlässigen Genossen innerhalb der Thüringer Polizei einen raschen Aufstieg. Obwohl dem ehemaligen Seemann die notwendige Ausbildung fehlte, folgten bis 1950 Beförderungen vom Leutnant über den Oberkommissar bis zum Ober-Polizeirat. Den einen galt Diamanski trotz fehlender Berufsbildung als guter Praktiker und anständiger Mensch. Andere, namentlich die Staatssicherheit, die nun vehement auf den Plan trat, hielten ihn jedoch als ehemaligen Westemigranten (im Gegensatz zu jenen, die nach 1933 in die Sowjetunion emigriert waren) für einen unzuverlässigen Abenteurer. Seine Frauengeschichten ebenso wie der Lebensstil seiner an westlicher Mode interessierten Frau erregten Anstoss. Deshalb wurde er Ende 1950 aus dem Polizeidienst entlassen und an eine Seefahrtsschule versetzt. Formell brachte er es dort zwar bis zum stellvertretenden Direktor, faktisch aber stand er auf verlorenem Posten. Es folgten weitere Untersuchungen, eine erneute Versetzung, und eine Verhaftung in West-Berlin, da er dort während einer Reise von einem DDR-Flüchtling als Ost-Spion denunziert worden war. Diamanski wurde nach fünf Tagen mangels Beweisen freigelassen und kehrte in die DDR zurück. Nun aber befürchtete die Staatssicherheit, er sei im Westen «umgedreht» worden. Als ihm nach weiteren Verhören verboten wurde, Magdeburg zu verlassen, floh er im Februar 1953 Hals über Kopf mit der Familie nach West-Berlin.

Dort bot er dem US-Geheimdienst seine Mitarbeit an – eventuell um die materielle Lage der Familie, die in einem Flüchtlingslager lebte, zu verbessern. Diamanskis Spionagetätigkeit war für die US-Behörden jedoch wertlos und wurde schon bald beendet. Er war ihnen und dem Bundesverfassungsschutz als überzeugter Kommunist bekannt; man misstraute ihm, und seine wenigen Informationen stammten teils von Leuten, die ihrerseits für die Stasi arbeiteten und über Diamanskis Tätigkeit informiert waren. Als sein Antrag auf Anerkennung als politisch Verfolgter abgelehnt und die Arbeit für den Geheimdienst gescheitert war, verliess die Familie Berlin Richtung Frankfurt. Dort fand Diamanski nach Gelegenheitsarbeit und Arbeitslosigkeit 1957 eine Stelle. Im Auschwitzprozess trat er als Zeuge auf, und er engagierte sich in Verbänden ehemaliger Verfolgter und Widerstandskämpfer sowie in der SPD. Seine Wiedergutmachungsansprüche wurden nach langwierigen Verfahren 1970 anerkannt. Von den Entschädigungszahlungen leistete er sich ein kaum mehr fahrtüchtiges Kajütboot für Fahrten auf dem Main und einen gebrauchten Mercedes: ein wenig Luxus in den letzten Lebensjahren, bevor Diamanski 1976 an Lungenkrebs starb.

Heiko Haumann rekonstruiert das individuelle Überleben Hermann Diamanskis in der kollektiven Katastrophe des Nationalsozialismus und des Kalten Kriegs aufgrund zahlloser und äusserst heterogener Quellen, die er in jahrelanger Recherche aus gegen fünfzig Archiven in Deutschland, Polen, Russland und den USA zusammengetragen und durch Gespräche und Korrespondenzen mit einem Dutzend Zeitzeugen ergänzt hat. Er verbindet das Schicksal eines «einfachen » Mannes mit der Deutschen Geschichte vom Aufstieg des Nationalsozialismus bis zur 68er Bewegung. «Aus Diamanskis Perspektive sollen seine Lebenswelt und damit auch die gesellschaftlichen Strukturen, in denen er sich bewegte, erschlossen werden.» Es handelt sich also um eine Biographie, die durch ihre umfassende Einbettung in den historischen Kontext streckenweise den Charakter einer Gesamtdarstellung der Deutschen Geschichte erhält. Dabei wird Diamanski jedoch nicht zur blossen Illustration bereits bekannten Wissens, sondern zu einer Art Brennglas, das einen fokussierten Blick auf historische Ereignisse, Prozesse und Strukturen und damit auch neue Erkenntnisse ermöglicht. Voraussetzung dafür, dass dies dem Verfasser gelingt, sind erstens die beharrliche Suche nach dem historisch gesicherten Faktum ebenso wie nach der historisch plausiblen Erklärung, zweitens die Neugier des Historikers und drittens seine Kritikfähigkeit sowohl gegenüber den Quellen als auch gegenüber den eigenen Vorannahmen.

Die Geburt des Protagonisten, der Anfang der Biographie, ist ein prinzipiell beweisbares Faktum. Deshalb lässt der Verfasser nichts unversucht, den damaligen Geburtsnamen und das richtige Geburtsdatum abzuklären. Die Recherche selbst erweist sich als Abenteuer, und im Ergebnis wird eine Adoptionsgeschichte offengelegt, die vielleicht Diamanski selbst nicht vollends klar war. Schwieriger als die Rekonstruktion von Daten und Fakten ist die Erklärung von Diamanskis Handeln, zumal es insgesamt nur sehr wenige Selbstzeugnisse gibt. Für die Kindheit und Jugend fällt dies besonders ins Gewicht, da es hier – im Gegensatz zur Zeit nach 1933, wo Verfolgung, Widerstand und Spionage hüben wie drüben vielfältig dokumentiert sind – auch kaum behördliche Dokumente über Diamanski gibt. So bleibt Vieles im Ungewissen: weshalb er mit 14 Jahren aufs Schiff ging, was er in den vier Jahren in den USA erlebte, warum er in Spanien kämpfte oder weshalb er seinen Namen abänderte. Selbst der Charakter von Diamanskis politischer Überzeugung und ihr allfälliger Wandel bleiben uneindeutig, denn während es viele Berichte über ihn gibt, hat er sich selbst selten dazu geäussert.

Der Autor behilft sich bei der Erklärung von Diamanskis Handeln mit Kontextualisierungen und Exkursen: über das sozialpolitische Milieu in Danzig nach dem Ersten Weltkrieg, das Leben und Sterben im «Zigeunerlager» oder das Scheitern des sozialistischen Aufbaus in der DDR. Je nach Vorkenntnissen ist manches schon bekannt oder aber neu und interessant. Entscheidend ist, dass diese Kontextualisierungen nicht um ihrer selbst willen geschehen. Sie sind vielmehr von der Neugier des Historikers getrieben, der über damalige historische Wirklichkeiten – etwa die Arbeitsbedingungen von Heizern auf Hochseedampfern – mehr erfahren möchte: weil es ihn zum einen grundsätzlich interessiert und weil er zum anderen hofft, dass dieser Zugewinn an Kenntnissen es ermöglicht, die variantenreichen Erzählungen über Diamanskis Leben auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen und plausible Erklärungen für sein Handeln zu entwickeln.

Heiko Haumann lässt das Publikum an diesem Rekonstruktions- und Reflexionsprozess teilnehmen. Dies ist für das an der Arbeit des Historikers interessierte Publikum genauso spannend wie die Darstellung der deutschen Katastrophe aus der lebensweltlichen Perspektive Diamanskis. Auch wer in Quellenkritik geübt ist, kommt mancherorts kaum aus dem Staunen heraus, und das kritische Bewusstsein gegenüber jeder Art von Dokumenten wird nachhaltig geschärft. Wer allerdings primär an der Erzählung und nicht an der Argumentation interessiert ist, dem dürfte die Lektüre angesichts der detailreichen Information, der offenbleibenden Fragen und der vielen Wendungen, welche die Rekonstruktionsarbeit nahm, nicht ganz leicht fallen. Heiko Haumann hat sich entschieden, Widersprüche und Lücken zu diskutieren und nicht zugunsten einer gradlinigen Narration verschwinden zu lassen. Damit ist seine Arbeit über Hermann Diamanski sowohl eine bewegende und historisch eindrücklich kontextualisierte Biographie als auch ein empfehlenswertes Lehrbuch über das Handwerk des Historikers geworden.

Zitierweise:
Gregor Spuhler: Rezension zu: Heiko Haumann, Hermann Diamanski (1910–1976): Überleben in der Katastrophe. Eine deutsche Geschichte zwischen Auschwitz und Staatssicherheitsdienst, Köln: Böhlau Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 2, 2014, S. 361-364

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 2, 2014, S. 361-364

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